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Glossar

Stummfilme / Musiker

Das Cabinet des Dr. Caligari

[Robert Wiene, D 1920]

„Das Cabinet des Dr. Caligari“ ist ein Schlüsselwerk des Weimarer Kinos, ein expressionistischer Film, der wie kein anderer Geschichte geschrieben hat. Eine kleine Stadt wird von einer furchtbaren Mordserie erschüttert. Gleichzeitig präsentiert ein Dr. Caligari eine neue Jahrmarktattraktion: den schlafwandelnden Cesare, der Schaulustigen den Tag ihres Todes voraussagen kann. Unter den Besuchern ist auch Francis, von dessen Wahnvorstellungen der Film erzählt. Robert Wiene schuf zusammen mit den expressionistischen Malern Walter Reimann, Hermann Warm und Walter Röhrig hochstilisierte, verzerrte gemalte Kulissen, die wie durch die Augen eines Irrsinnigen gesehen wirken.

Der doppelbödige Psycho-Krimi DAS CABINET DES DR. CALIGARI ist ein Schlüsselfilm der Filmgeschichte: Mit seinen schiefen Kulissen, aufgemalten Schatten und einer Geschichte, die tief in die Abgründe der Seele schaute, war er nicht nur Auslöser einer Welle expressionistischer Filme, sondern mit ihm galt auch die Frage: Kann Film Kunst sein? als positiv beantwortet. Die verschachtelte Story, die zwei junge Autoren unter dem Eindruck des gerade zuende gegangenen Weltkrieges aus ihrem Unterbewusstsein hervorgebracht hatten, ist ein Horrortrip zwischen Wahnsinn und Realität: Ein Serienmörder geht um in der kleinen Stadt Holstenwall. Aber wer ist der unheimliche Schausteller Dr. Caligari? Und kann der Schlafwandler Cesare wirklich die Zukunft vorhersagen? Als ein junger Mann in den Wirbel der furchtbaren Ereignisse gezogen wird, führt ihn die Spur in ein Irrenhaus am Rande der Stadt. Und dort erfährt er, wie alles zusammenhängt. Aber das Irrenhaus wird er nie wieder verlassen.
Olaf Brill

»Es gilt, eine neue Seite in der Geschichte des Films zu beginnen: DAS CABINET DES DR. CALIGARI, durch rhythmische Werberufe in den Lichtkreis allgemeiner Spannung gerückt, hat sich als eine künstlerische Einheit und ein Aufwärts in der Entwicklung des Filmspiels erwiesen; es stellt zum ersten Male die bildende Kunst ebenbürtig neben die darstellende und schweißt Bild und Bewegung zu einer Wirkungsharmonie zusammen. Das Gelingen wiegt doppelt, denn man rief Expressionisten zu Helfern, und konnte sie rufen, da der phantastische Spuk schließlich als das irre Erleben eines kranken Gehirns enträtselt wird. Diese Welt des Wahns, nicht durch flackernde, huschende Visionen, sondern durch die ruhige, aber verzerrte Einstellung eines seelischen Blickes zu geben – das ist in Bildern von seltener körperlicher Geschlossenheit und Stimmungsschwere geglückt. (Drei Maler: Warm, Reimann, Röhrig.) Der Spielleiter Wiene hat mit rühmenswertem Stilgefühl die bewegte menschliche Gestalt den toten und doch mit der Handlung lebenden Hintergründen verbunden. Vor allem der Caligari des Werner Krauß (der hier in die vorderste Reihe der Filmdarsteller tritt) ist in Maske, Miene und Gebärde von gespenstischer Romantik, stärkster E. T. A. Hoffmann; ihm zunächst Veidt mit der Leichenblässe des Somnambulen. Im Abstand Twardowski, Lettinger, Lil Dagover -- aber von einem auf den inneren Klang des Spiels abgestimmten Regiewillen zusammengefasst. Dies ist der bleibende Eindruck: hier ist ein Kunstwerk geschaffen, das willig den natürlichen Gesetzen des Films folgt und sein eigenstes und stärkstes Ausdrucksmittel, das Malerische, in einem Grade der Vollendung zur Auswirkung bringt.«
My [= Dr. Wilhelm Meyer]: Filmkunst des Malers, Vossische Zeitung, Nr. 110, 29.2.1920

»Berlin hat ein neues Schlagwort mehr. ›Du musst Caligari werden.‹ Seit Wochen schrie einem dieser geheimnisvolle kategorische Imperativ von allen Plakatsäulen entgegen, sprang aus den Spalten aller Tageszeitungen hervor. Eingeweihte fragten: ›Sind Sie auch schon Caligari?‹ So ungefähr wie man früher fragte: ›Sie sind wohl Manoli?‹ Und man munkelte von ›Expressionismus im Film‹ und ›verrückt‹. Nun ist er heraus, dieser erste expressionistische Film und abgesehen davon, dass er im Irrenhause spielt, kann man nichts Verrücktes an ihm finden. Man kann sich zur modernen Kunst stellen, wie man will, in diesem Fall hat sie entschieden eine Berechtigung. Krankhafte Ausgeburten eines irren Geistes finden in diesen verzerrten, seltsam phantastischen Bildern einen zur höchsten Potenz gesteigerten Ausdruck. Die Welt malt sich anders im Hirn eines Wahnsinnigen, und wie die Gestalten seiner Phantasie zum Teil spukhafte Formen annehmen, so zeigt auch die Umwelt, in der sie sich bewegen, ein bizarres Gesicht: schiefe Zimmer mit dreieckigen Fenstern und Türen, unwirklich krumme Häuser und bucklige Gassen. Und man kann von diesen tollen Bildern wie von der Handlung sagen: ›Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode.‹ [...] Die Handlung ist packend, viele Szenen direkt von faszinierender, atembeklemmender Wirkung, wie z.B. eine Mordszene, bei der man nur die Schatten der ringenden Personen sieht (technisch übrigens ein hervorragend gelungenes Bild) oder das Traumerlebnis der Braut [...], in dem sie von dem Somnambulen überwältigt und über die Dächer hinweg auf schwindelnd schmalem Weg entführt wird. Sehr eindrucksvoll wirkt auch das Schlussbild aus dem Hof des Irrenhauses mit dem Tobsuchtsausbruch des Wahnsinnigen und seiner Unschädlichmachung durch die Zwangsjacke. [...]

Die Decla-Filmgesellschaft hat mit diesem neuesten Werk bewiesen, dass die Filmkunst noch lange nicht mit ihrem Latein zu Ende ist, und dass noch neue, ungeahnte Möglichkeiten zu ihrer Weiterentwicklung offen stehen.«
E. B., Kinematograph, Nr. 686, 3.3.1920

Zur Aufführung am 7. Oktober 2008 im babylon berlin:
Stephan v. Bothmer begleitet „Das Cabinet des Dr. Caligari“ am CineTronium, was mit seinen elektronischen Klängen eine völlig neue Sicht auf den Stummfilmklassier erzeugt.

Zur Aufführung am 20. November 2007 im babylon:
Eine neue Interpretation erfährt der Film durch eine Komposition für Klavier (Stephan v. Bothmer) und elektrisches Cello (Kristoff Becker).
Das Kino wird durch Overheadprojektoren in eine kubistische Rauminstallation verwandelt, die den Film über die Leinwand hinauswachsen lässt. Die Idee: Projektionen an die Wände und Decke. Die Overheadprojektoren geben dem Künstler die Möglichkeit, die Bilder direkt an die Wände zu malen. Es soll eine verzerrte, wahnsinnige, caligariartige Installation entstehen, die das Publikum in Caligaris verzerrte Psychowelt holt.

Filmbilder mit freundlicher Genehmigung von

Transit Film

und

Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen Berlin

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