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Glossar

Stummfilme / Musiker

Fräulein Piccolo
Ich möchte kein Mann sein

Komödien machen sich über das lustig, was im Ernst kein Thema sein kann, und darin liegt ihre anarchistische Qualität. Sehr beliebt sind im deutschen Kino Verwechslungskomödien, in denen sich Frauen als Männer verkleiden. Wenn sich dann diese verkleideten Frauen in Männer verlieben und ihre Liebe erwidert wird, ist das der Ausdruck eines schrägen Humors, der mit dem Tabu der Homosexualität und des Transvestismus kokettiert und für eine Verwirrung der Geschlechterverhältnisse sorgt. „Fräulein Piccolo“ und „Ich möchte kein Mann sein“ mit den immens populären Stars Dorrit Weixler und Ossi Oswalda sind zwei besonders schöne Beispiele dafür.

In „Fräulein Piccolo“ muß Dorrit Weixler als Tochter eines Hotelbesitzers zugleich das Zimmermädchen und den Kellnerlehrling ersetzen und deshalb ständig ihre Bekleidung wechseln. Je nach Verkleidung reagieren die männlichen oder weiblichen Gäste völlig verschieden. Als sie sich in einen hübschen Leutnant verliebt, geraten ihre beiden Rollen durcheinander und ein emotionales Dilemma tut sich auf. Ossi Oswalda spielt in „Ich möchte kein Mann sein“ ein lebenslustiges und höchst unangepaßtes Mädchen mit einer Vorliebe für Zigaretten, scharfe Getränke und Poker. Ein neuer Hauslehrer soll ihr endlich gute, also damenhafte Manieren beibringen, doch Ossi denkt gar nicht daran. Verkleidet als Gigolo stürzt sie sich in nächtliche Abenteuer und will die Privilegien des Mann-Seins auskosten. Im gemeinsamen Rausch kommen sie und ihr ahnungsloser Hauslehrer sich näher, und die beiden „Männer“ beginnen, Küsse auszutauschen.

Daß die beiden Komödien noch heute so frisch wirken, ist nicht nur dem Charme und der Präsenz der beiden Hauptdarstellerinnen zu verdanken, sondern ebenso dem Können der Regisseure Franz Hofer und Ernst Lubitsch. Der lange Zeit vergessenen Hofer gilt seit seiner Wiederentdeckung in den 1990er Jahren als einer der großen Filmmacher des frühen Kinos: Sein Werk und zumal seine zahlreichen Frauenfilme zeichnen sich durch eine ganz eigene Handschrift und Sensibilität aus. Wo Hofer lyrische Stimmungen erzeugt, setzt Ernst Lubitsch, der in „Fräulein Piccolo“ eine kleine Nebenrolle spielt, auf eine rustikale, körperliche und eindeutig-doppeldeutige Komik. Seine Heldinnen platzen fast vor Vitalität und Exzentrik, vor erotischem Verlangen und Freiheitsdrang.

Über „Fräulein Piccolo“ schreibt „Der Film“ im Februar 1919: „Im Tauentzienpalast darf man wieder das farbenreiche, glitzernde Können Dorrit Weixlers bewundern und sich daran erfreuen. Man sieht dort das einst verboten gewesene, dreiaktige Lustspiel „Fräulein Piccolo“, in welchem die kleine muntere Heldin, ein übermütiges Kerlchen, sich in die Rolle eines – Hotelzimmermädchens hineinspielt. Personalmangel und Umstände veranlassen den geschäftstüchtigen Wirt, sie gar in den Smoking des Piccolo zu stecken. Und nun ergibt sich eine Fülle von ergötzlichen, ja, von überwältigend komischen Situationen. Denn bald wird Dorrit als Zimmermädchen verwöhnt und hofiert (wie man das so macht!), bald als Piccolo an den Ohren gezogen und erschrecklich geschunden. Und erst als die Hetze von der Mädchenkleidung in die Hosen und umgekehrt ihren Höhepunkt erreicht hat, wird Dorrit entdeckt und zum ‚Farbebekennen’ gezwungen. [...] Der mit Schmiß und Temperament inszenierte und gespielte Film fand reichlichen Lacherfolg. Ja: Dorrit Weixler!“ (Der Film, 8.2.1919).

Der „Film-Kurier“ schreibt im Mai 1920 über „Ich möchte kein Mann sein“: „Die zurzeit erfolgreichste und beliebteste deutsche Lustspielfirma Lubitsch und Kräly hat es sich mit ihrem neuesten Ossi Oswalda auf den schlanken Leib geschriebenen Manuskript recht leicht gemacht. Denn die Geschichte von dem tollen, übermütigen Backfisch, der sich einmal als Junge ordentlich austobt, dabei in allerlei Nöte gerät und schließlich im Hafen der Ehe landet, ist schon tausendmal vorher in allen möglichen Variationen auf die Bühne gebracht worden. Wenn es trotzdem den Autoren gelungen ist, das Publikum zu stürmischer Heiterkeit hinzureißen, ja es zeitweise direkt zum Wiehern zu bringen – ich weiß, daß das kein hübscher Ausdruck ist, aber die Damen hinter mir haben es tatsächlich getan –, so ist ihr Verdienst um so höher zu bewerten. Die Hauptstärke liegt diesmal in den launigen Titeln, die voll Witz und famoser Situationskomik sind, während die Situationen selbst zum großen Teile der Originalität entbehren. Trotzdem schlugen sie mächtig ein, was zum großen Teile auf das Konto der Darstellung zu setzten ist. Ossi Oswalda entzückte durch ihr sprudelndes Temperament, ihre überschäumende Laune und ihre schelmische Koketterie. [...] Daß Lubitsch für eine sorgfältige und dabei doch sehr temperamentvolle Regie gesorgt und eine ganze Reihe entzückender Bilder gestellt hat, versteht sich beinahe von selbst.“ (Frank., in: Film-Kurier, 8.5.1920). Die „Lichtbild-Bühne“ ergänzt: „Man hat sich bereits daran gewöhnt, mit großen Erwartungen auf einen recht launigen Abend das Kino zu betreten, wenn ein Lubitsch-Lustspiel auf dem Programm steht. Diese Erwartung wurde bei der neuen Ossi Oswalda-Komödie nicht enttäuscht. Es gab vielmehr sehr sehr viel Drolliges zu sehen und in den Titeln zu lesen. Das Köstlichste ist natürlich die blonde Ossi in ihrer tragikomischen Hosenrolle. Es gab denn auch starke Lachsalven [...].“ (Lichtbild-Bühne, 8.5.1920) 

Philipp Stiasny, 16.8.2006

Nächste Spieltermine von "Ich möchte kein Mann sein":
Di. 6. März, 20 Uhr
Sa. 10. März, 11 Uhr - Stummfilm-Marathon
Mo. 19. März, 18 Uhr

Filmbilder: Filmmuseum Berlin

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