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Ernst Lubitsch
29. Januar 1892, Berlin - 30. November 1947, Hollywood, USA
Von Michael Hanisch
Lubitsch blieb zeit seines Lebens der Stadt Berlin eng verbunden. Seine Herkunft, die Gegend um das Schönhauser Tor mit dem Milieu des von Ostjuden geprägten Scheunenviertels wirkte prägend auch auf ihn von seinen Anfängen an bis zum Ende im fernen Kalifornien. Obgleich er nie direkt autobiografisch erzählte, auch nie die Zeit fand, um gar Memoiren zu schreiben, in kleinen oder auch größeren Passagen seiner Filme, in Nebenfi guren, in Partikeln sind immer wieder Refl exionen des eigenen Lebens in Berlin zu fi nden. So scheint beispielsweise die Hauptfi gur eines seiner letzten Filme, der etwas autoritäre Besitzer eines Budapester Eckladens aus The Shop around the Corner deutlich an Simon Lubitsch zu erinnern, dem in Russland geborenen Vater, Besitzer einer „Betriebswerkstätte für Damenmäntel" an der Berliner Schönhauser Allee. Mit einiger Phantasie könnte so ein „Shop around the Corner" Anfang des vergangenen Jahrhunderts durchaus auch am Schönhauser Tor gestanden haben.
In dieser Gegend, seinem Berliner Kiez wurde Ernst am 29. Januar 1892 als viertes Kind von Simon und Anna Lubitsch in der Lothringer Straße 82 A geboren. Das Haus in der heutigen Torstraße existiert nicht mehr, wohl aber das Gebäude, in das die Familie Lubitsch alsbald umzog, in dem Ernst dann aufwuchs und wo er auch noch wohnte, als er in Deutschland schon ein bekannter und sehr erfolgreicher Regisseur war: Schönhauser Allee 183. Es war alles ganz dicht beieinander in seiner Jugend: das Sophiengymnasium in der Weinmeisterstraße, das er zwischen 1902 und 1908 besuchte, das Stoffgeschäft der Gebrüder Hoffmann in der Königstraße (heute Rathausstraße), wo er nach der Mittleren Reife eine Lehre begann, vor allem aber die vielen kleinen Kinos, die „Flohkisten" in der Münzstraße und seit 1909 auch das U.T. Alexanderplatz im Grand-Hotel, wo ihn im Januar 1918 der große Theaterkritiker Alfred Kerr erstmals als Schauspieler wahr nahm und daraufhin „Heil, wackerer Lubitsch" schrieb. Das war für den Schauspieler zweifellos so etwas wie ein Ritterschlag.
Ernst war ein „Nachzügler", von Kindheit an nicht von bester Gesundheit, sogar eine Stoffallergie sagte man dem Lehrling aus dem Stoffgeschäft in der Königstraße nach. Die Erfahrungen aus dem Textil- und Schneidermilieu mögen für ihn später thematisch durchaus nützlich, anregend auch gewesen sein, sein Sinn stand ihm freilich schon früh nach etwas ganz anderem. Schauspieler wollte er werden, ausgerechnet er, klein von Wuchs und durchaus kein Romeo- Typ. Der Vater war dagegen, die Mutter hatte Verständnis und ein Freund der Familie, Victor Arnold, der Komikerstar der Reinhardt-Bühnen, half. Ein paar Stunden Schauspielunterricht genügten, mit der Rolle des Mortimer soll er sich Max Reinhardt vorgestellt haben und dann im August 1911 stand es in den Zeitungen: zu den Neuengagements der Reinhardt-Bühnen gehörten u.a. Fritz Kortner und Ernst Lubitsch. Sogleich wurde er dort viel beschäftigt.
Im Deutschen Theater und den Kammerspielen stand er fast jeden Abend auf der Bühne. Als Reinhardt 1915, ein Jahr nach Eröffnung auch noch die Volksbühne übernahm, hatte er auch dort zu tun und mußte nur wenige Schritte von der Wohnung in der Schönhauser Allee zum Bühneneingang laufen. Der Darsteller kleiner und kleinster Rollen war viel beschäftigt, vor allem aber konnte er dort die Großen des deutschen Theaters allabendlich bei ihrer Arbeit beobachten. Die großen Kollegen, die er nur wenige Jahre später als Regisseur ins Filmatelier holen sollte.
Der flinke, kleine Lubitsch hatte nun täglich mehrmals zwischen der Schönhauser Alle und der Schumannstraße hin- und herzueilen. Ganz schnell aber erweiterte er seinen Radius: zwei, drei Jahre Bühnenerfahrung genügten ihm und 1913 wurde er von Victor Arnold, dem väterlichen Mentor, mit nach Tempelhof ins Filmatelier der Projektions-AG Union gebracht. Arnold spielte einen herrischen Ladenbesitzer, Lubitsch einen frechen Lehrling: die Komödie hieß Die Firma heiratet. Als die Fortsetzung Der Stolz der Firma bereits mit Lubitsch in der Hauptrolle in die Kinos kam, brach der Krieg aus, den man später den Weltkrieg nennen sollte.
Da die ausländische Konkurrenz während des Krieges vom deutschen Kino fern gehalten wurde, konnte die einheimische Industrie schnell einen beachtlichen Aufschwung erleben. Und Lubitsch mit ihr. Er war somit in einem gewissen Sinne „Kriegsgewinnler". Die Filme hießen Schuhpalast Pinkus, Fräulein Seifenschaum, Der G.m.b.H.-Tenor, Der Blusenkönig, Der Rodelkavalier oder Meyer aus Berlin. Es waren zumeist mittellange Lustspiele, in manchen spielte er die Hauptrolle, in anderen führte er Regie. Das Milieu spielte von Anfang an eine große Rolle. Früh erkannte er die Wirksamkeit des Konfektionsmilieus und plädierte auch mit Nachdruck für den jüdischen Humor im Kino. Am Abend stand er als Schauspieler auf einer der drei Reinhardt-Bühnen, am Tage war er in Tempelhof vor oder hinter der Kamera zu sehen. Er war fl ink und fl eißig und hatte innerhalb kürzester Zeit seinen Platz im Leben gefunden.
Gegen Kriegsende stellte ihm die Industrie die Mittel für größere Produktionen zur Verfügung. Der fl inke, kleine Lubitsch drehte „Großfi lme". Den Abschied als Bühnenschauspieler erlebte er nicht bei Reinhardt, sondern gegen Kriegsende im Apollo-Theater in der unteren Friedrichstraße 218, wo er in der Revue „Die Welt geht unter" zu sehen war. Den fernen Lärm der Novemberrevolution hörte er in der Tempelhofer Studiovorführung, als er der Direktion seine Carmen mit Pola Negri zeigte. Lubitsch hatte keine Zeit für Revolutionen der Straße. Er drehte allein im Jahre 1919 sechs Filme, darunter die aufwändige Madame Dubarry, die Strindberg- Adaption Rausch mit Asta Nielsen und Die Puppe sowie Die Austernprinzessin, zwei Filme, in denen sich schon der später berühmte „Lubitsch-Touch", sein unverwechselbarer Stil anzukündigen schien. Daneben hatte er aber auch noch Zeit umzuziehen: weg von der Schönhauser Allee nach Westen, in das vornehmere Schönberg, näher an seine Hauptarbeitsstätte, die Tempelhofer Filmstudios. Kufsteiner Straße 13 lautete seine neue Adresse. Das Haus existiert heute noch, hat jedoch eine neue Hausnummer. Im Berliner Adressbuch der Zeit stand er als „Lubitsch, Ernst, Oberregisseur".
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Bild: Filmmuseum Berlin
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